Unverheiratete Mütter in Marokko: Einsam und stark

Unverheiratete Mütter in Marokko leben in prekären Situationen. Frieda unterstützt diese besonders vulnerablen und diskriminierten Frauen seit über 20 Jahren.
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In Marokko werden jährlich gegen 50’000 Kinder ausserehelich geboren. Obwohl seit den 1960er Jahren sexuelle Beziehungen Unverheirateter nichts Unbekanntes mehr sind, stehen sie noch immer in Diskrepanz zu den vorherrschenden Idealen und sind strafrechtlich verboten. Eine öffentliche Debatte über Gesetze und soziale Normen findet nur langsam und zögerlich statt, und das Wissen über Sexualität konzentriert sich auf Verbote und gesellschaftliche Normen. Die Ehe stellt noch immer die einzige akzeptierte Möglichkeit dar, sich öffentlich als Paar zu zeigen, sexuell aktiv zu sein, Kinder zu bekommen und als erwachsene Person in der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Unverheiratet Mutter zu sein, verstösst gegen soziale Normen und Werte. Die betroffenen Frauen werden als Bedrohung für die gesellschaftliche Ordnung angesehen.

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Die Mütter haben auch die Möglichkeit, eine Schneiderinnen-Ausbildung zu absolvieren. Bild: INSAF

Stigmatisiert und allein

Unverheiratete Mütter werden sowohl gesellschaftlich als auch rechtlich diskriminiert und meist in ein soziales Exil gedrängt. Der extreme Druck, dem sie ausgesetzt sind, wirkt sich auf ihre ganze Familie aus. Eltern haben oft Angst, für die Situation der Tochter verantwortlich gemacht zu werden. Deshalb verstossen sie die Tochter oder akzeptieren sie nur, wenn sie ihr Kind weggibt. «Es gibt Mütter, die vergewaltigt wurden, manchmal sogar in der eigenen Familie oder in der näheren Verwandtschaft. Es kommt vor, dass Paare verlobt sind, die junge Frau vor der Heirat schwanger wird und diese Verbindung von den Familien nicht anerkannt wird, obwohl die Beziehung offiziell war. Die Familien beschuldigen diese Frauen, vor der Ehe schwanger geworden zu sein. Die werdenden Mütter werden von beiden Familien im Stich gelassen.», berichtet eine Kinderbetreuerin der Frieda-Partnerorganisation INSAF (Institution Nationale de Solidarité avec les Femmes en Détresse).

Oft verschweigen deshalb werdende Mütter ihre Schwangerschaft bis zur Entbindung und gebären allein. Einige sehen keinen anderen Ausweg, als ihr Kind wegzugeben. Kinder, die bei ihren ledigen Müttern aufwachsen, werden ebenfalls diskriminiert und gemieden. Sie gelten als lebender Beweis des «Vergehens» ihrer Mütter.

Die Väter der Kinder werden zwar meistens informiert, sie übernehmen jedoch selten Verantwortung. Eine uneheliche Vaterschaft hat in der Regel kaum gesellschaftliche und rechtliche Folgen für sie. Die jungen Frauen hingegen werden oft auch für die «Sünden» ihres Partners verantwortlich gemacht. Eine Heirat würde den gesellschaftlichen und rechtlichen Status der Mutter und ihres Kindes wesentlich verbessern, auch wenn sie bald darauf wieder geschieden würde. Dafür setzt sich beispielsweise die Mutter einer Projektteilnehmerin ein: «Was ich jetzt vom Vater verlange, ist die Heiratsurkunde, auch wenn sie sich gleich danach von ihm scheiden lässt. Es geht darum, die Ehre der Familie zu retten und dass er das Kind anerkennt.» Eine Vaterschaftsanerkennung nach der Heirat verbessert den gesellschaftlichen und rechtlichen Status von Mutter und Kind massiv und verringert die Stigmatisierung.

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Im Projekt wird auch eine Kochausbildung angeboten, die den Teilnehmer*innen die Chance auf eine formelle Anstellung in der Gastronomie ermöglicht. Bild: INSAF

Im Teufelskreis von Ausgrenzung und Armut

Viele der unverheirateten Mütter sind auf dem Land in wenig privilegierten Familien aufgewachsen. Oft müssen sie wegen Armut die Schule vorzeitig verlassen und in anderen Familien als Hausangestellte Geld verdienen. Fern ihrer gewohnten Umgebung werden sie nicht selten ausgebeutet, erfahren psychische und physische Gewalt und werden ungewollt schwanger. Die jungen Mütter haben die patriarchalen, gesellschaftlichen Normen internalisiert und kämpfen mit Schuldgefühlen und Stigmatisierung zugleich. Sie sind hin und her gerissen zwischen der Freude über ihr Kind und dem Leid der Ächtung, das sich in ihrem Kind verkörpert. «Es ist schwierig und die Gesellschaft ist unbarmherzig. Wenn man sein Kind lächeln sieht, möchte man alles tun, um für es und sein Glück zu kämpfen.», wie eine Projektteilnehmerin ihren inneren Konflikt beschreibt.

In der marokkanischen Gesellschaft ist die Frau traditionell für die Hausarbeit zuständig. Nur mit Unterstützung ihrer Familie können Mütter einer Erwerbsarbeit nachgehen. Unverheiratete Mütter haben meist einen niedrigen oder keinen Bildungsabschluss, sind arbeitslos und wurden von ihren Familien oft fallengelassen. Für sie ist es sehr schwierig, Geld zu verdienen und gleichzeitig eine Betreuung für das Kind zu finden. Einige müssen bis zur Hälfte ihres Einkommens für die Kinderbetreuung aufwenden, so dass kaum etwas übrig bleibt zum Leben.

Durch die Armut, Ausgrenzung und Alleinverantwortung für das Kind leiden sie oft unter Stress und Verzweiflungszuständen, Überforderung, Einsamkeit, geringem Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen. Sie erkranken überproportional häufig an Depressionen. Dies kann auch bei ihren Kindern zu psychischen Belastungen führen, was den Stress der Mütter wiederum verstärkt.

Pilotphase 2021

Das Projekt Karamtna – Unsere Würde unterstützt unverheiratete Mütter mit einem ganzheitlichen Ansatz. Während der Pilotphase im Jahr 2021 führte eine externe Expertin eine fundierte Gender-Analyse durch. Die Analyse zeigt detailliert die vielschichtigen Zusammenhänge zwischen geschlechtsspezifischen und anderen Diskriminierungen auf. Sie macht deutlich, wie verschiedene Formen struktureller Gewalt unverheiratete Mütter in die wirtschaftliche Prekarität bringen und sozial ausschliessen. Die Gender-Analyse und ihre Resultate bilden eine Grundlage, auf der die Wirkung des Projektes künftig gemessen werden kann. Aus der Gender-Analyse resultieren Empfehlungen einerseits zu den praktischen Bedürfnissen der unverheirateten Mütter, andererseits zu strategischen Interessen für einen gesellschaftlichen Wandel. Verschiedene Vorschläge zielen darauf ab, die Arbeitsmarktfähigkeiten der Frauen zu fördern und ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Beispielsweise durch die Eröffnung einer Kinderkrippe, um die Betreuungskosten zu senken und einen schützenden Raum zu schaffen. Diese und weitere Vorschläge werden nun sorgfältig geprüft.

Ausblick

Gemäss den Erfahrungen aus der Pilotphase bleiben die Herausforderungen für die Projektteilnehmerinnen auch nach ihrer Projektteilnahme sehr hoch und sie fallen oft in die Prekarität zurück. Ihre Eingliederung in die Arbeitswelt ist oft durch eine schwache Grundausbildung, durch Misstrauen und Diskriminierung seitens der Arbeitgeber, durch fehlende Kinderbetreuung sowie durch geringe Bezahlung und unflexible Arbeitszeiten erschwert. Sie werden künftig während sechs Monaten nachbetreut und begleitet mit dem Ziel, dass sie wenn immer möglich eine formelle Arbeitsstelle finden, die eine gewisse Absicherung bringt. Zudem sollen die Teilnehmerinnen parallel zur Ausbildung die Möglichkeit erhalten, Schnupperlehren zu absolvieren, damit sie Einblick in den Arbeitsalltag erhalten und wissen, was sie bei einer Erwerbsarbeit erwartet. Die Vielschichtigkeit der Herausforderungen unverheirateter Mütter zeigt, dass der angestrebte gesellschaftliche Wandel hin zu einer Gesellschaft, die unverheiratete Mütter und ihre Kinder voll akzeptiert und integriert, ein langfristiges Ziel ist. Indem das Projekt Karamtna – Unsere Würde strukturelle Gewalt gegenüber Frauen bekämpft, ihre Rechte stärkt und ihren Zugang zu überlebenswichtigen Ressourcen sichert, trägt es zu einer friedlicheren Gesellschaft bei.

Zwischen Hürden und Hoffnung

18:00 Uhr
Haus der Bewegungen, Kollektivraum
Realistische Sicht von Migrantinnen auf die Integration in den Schweizer Arbeitsmarkt
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Mira – Kompass Veranstaltungsreihe: Gesprächsrunden zum Thema Schutz vor Gewalt (Teil 1)

16:00 Uhr
Frieda - die feministische Friedensorganisation
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Frauen mit Migrationserfahrung erleben verschiedene Formen von Gewalt. An drei Nachmittagen besprechen wir Strategien dagegen und den rechtlichen Schutz vor häuslicher Gewalt für Frauen ohne Schweizer Staatsangehörigkeit. Die Veranstaltung findet im Rahmen der «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» statt.
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Kongress der Asyl- und Migrationsbewegung

10:00 Uhr
Zentrum für Kulturproduktion PROGR
Unter dem Motto «Reclaim mobility freedom rights» findet am 28. und 29. November 2025 im Kulturzentrum PROGR in Bern ein zweitägiger Kongress statt.
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Geschlechtsspezifische Gewalt und Behinderungen – Lesung und Diskussion

19:30 Uhr
GLEIS
Im Rahmen der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» liest Laura Leupi aus ihrem Buch «Das Alphabet der sexualisierten Gewalt».
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Mira – Kompass Veranstaltungsreihe: Gesprächsrunden zum Thema Schutz vor Gewalt (Teil 2)

16:00 Uhr
Frieda - die feministische Friedensorganisation
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Frauen mit Migrationserfahrung erleben verschiedene Formen der Gewalt. An drei Nachmittagen reden wir darüber und lernen Strategien gegen Gewalt kennen. Wir fokussieren uns auf den rechtlichen Schutz vor häuslicher Gewalt für Frauen ohne Schweizer Staatsangehörigkeit. Die Veranstaltung findet im Rahmen der «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» statt.
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Mira – Kompass Veranstaltungsreihe: Gesprächsrunden zum Thema Schutz vor Gewalt (Teil 3)

16:00 Uhr
Frieda - die feministische Friedensorganisation
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Frauen mit Migrationserfahrung erleben verschiedene Formen der Gewalt. An drei Nachmittagen reden wir darüber und lernen Strategien gegen Gewalt kennen. Wir fokussieren uns auf den rechtlichen Schutz vor häuslicher Gewalt für Frauen ohne Schweizer Staatsangehörigkeit. Die Veranstaltung findet im Rahmen der «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» statt.
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Forum «Körper im Widerstand: Geschlecht, Behinderungen, Gewalt kritisch analysieren»

09:30 Uhr
Mit dem Forum «Körper im Widerstand: Geschlecht, Behinderungen, Gewalt kritisch analysieren» beleuchtet Frieda eine Realität, die noch zu oft übersehen wird: die Gewalt, der Frauen und queere Menschen mit Behinderungen ausgesetzt sind.
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Film: 10 Jahre Jubiläum Film «Wir Mitbürgerinnen»

17:00 Uhr
Verein Living Room
Filmvorführung mit anschliessender Podiumsdiskussion mit den Protagonistinnen
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Utopia Rising: Feministischen Frieden kollektiv verwirklichen

14:00 Uhr
Heitere Fahne und queerfeministischer Raum (Reitschule Bern)
Ein Datum zum Vormerken: Vom 6. – 7. März 2026 organisiert Frieda – die feministische Friedensorganisation unter dem Titel «Utopia Rising: Feministischen Frieden kollektiv verwirklichen» die 8. Schweizer Friedenskonferenz in Bern.
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Utopia Rising Brunch: Feministischen Frieden kollektiv verwirklichen

10:00 Uhr
Heitere Fahne - die Idealistenkiste
Ein Datum zum Vormerken: Vom 6. – 7. März 2026 organisiert Frieda – die feministische Friedensorganisation unter dem Titel «Utopia Rising: Feministischen Frieden kollektiv verwirklichen» die 8. Schweizer Friedenskonferenz in Bern.
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