Die Schweiz verurteilt Israels Kriegsführung – konkrete Massnahmen müssen folgen

Das Forum für Menschenrechte in Israel/Palästina begrüsst, dass die Schweiz zusammen mit 29 anderen Staaten sowie der EU-Kommissarin für Resilienz, humanitäre Hilfe und Krisenmanagement am 21. Juli 2025 die israelische Kriegsführung im Gazastreifen deutlich verurteilt hat. Israel verletzt seine humanitären Verpflichtungen in eklatanter Weise: Nicht nur wird die dringend notwendige Lieferung von Lebensmitteln, medizinischer Hilfe und anderen Gütern weitestgehend blockiert – der Zugang zu den wenigen Verteilstationen ist für die palästinensische Bevölkerung lebensgefährlich. Gemäss UNO-Angaben sind seit der Inbetriebnahme dieser Stationen Ende Mai dieses Jahres 1’060 Personen während des Versuchs, Lebensmittel zu erhalten, durch Beschuss der israelischen Armee getötet worden. Zusätzlich hat Israel mehrfach die Zivilbevölkerung im Gazastreifen vertrieben, zuletzt mit dem Befehl vom 20. Juli an rund 80’000 Bewohner:innen von Deir el-Balah, die Stadt binnen 24 Stunden zu verlassen. Mit dieser Order sind nun knapp 88 Prozent des Gazastreifens zur militärischen Sperrzone geworden. 2.1 Millionen Menschen sind somit auf den verbliebenen 12 Prozent zusammengedrängt – in einem weitgehend zerstörten Gebiet ohne notwendige Infrastruktur und unter unerträglichen, menschenunwürdigen Bedingungen.
Das Forum begrüsst ausserdem, dass die 30 Staaten in ihrer Stellungnahme auch ein Ende der Eskalation der Gewalt im Westjordanland durch israelische Siedler:innen und des rasanten Ausbaus israelischer Siedlungen fordern. Als Besatzungsmacht verletzt Israel auch hier seine völkerrechtliche Pflicht, nämlich den Schutz der unter militärischer Besatzung lebenden Bevölkerung, ihres Besitzes und ihrer zivilen Infrastruktur. Angriffe auf und Tötungen von Zivilist:innen durch Siedler:innen oder die israelische Armee haben in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen, und die Häuser von hunderten palästinensischen Familien sind durch die Armee zerstört worden. Die israelische Siedlungspolitik schafft ausserdem Fakten, die eine Umsetzung der Zweistaatenlösung und die Errichtung eines lebensfähigen palästinensischen Staates nachhaltig verunmöglichen: Im Juli 2025 haben die israelische Behörden das lange blockierte Siedlungsprojekt E1 inklusive über 3'000 Häusern für Siedler:innen östlich von Jerusalem bewilligt, womit das nördliche und südliche Westjordanland in zwei Teile getrennt wird. «Das muss aufhören», fordern die 30 Staaten mit ihrer Stellungnahme. Diesem Aufruf schliesst sich das Forum an.
Aufrufe allein genügen angesichts der andauernden katastrophalen Lage jedoch nicht
Das Forum erneuert darum die Forderungen des Offenen Briefs vom 27. Mai 2025, den zahlreiche Schweizer NGOs, Hilfswerke, Expert:innen für Völkerrecht und weitere namhafte Persönlichkeiten aus Diplomatie, Wissenschaft und Kultur sowie die alt Bundesrätinnen Ruth Dreifuss und Micheline Calmy-Rey unterzeichnet haben. In diesem Brief forderten die Unterzeichnenden zum Schutz der völker- und menschenrechtlichen Verpflichtungen den Bundesrat auf, die nachfolgenden Massnahmen zu ergreifen. Die Umsetzung steht noch immer aus.
1. Diplomatischer Einsatz für Waffenstillstand
Gemäss Art. 1 der Genfer Konventionen fordern wir Sie auf, sich aktiv und öffentlich für einen sofortigen Waffenstillstand und den Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza und dem Westjordanland einzusetzen.
2. Humanitärer Zugang und UNRWA-Finanzierung
Setzen Sie sich gemäss Art. 23 der IV. Genfer Konvention für den ungehinderten Zugang humanitärer Hilfe nach Gaza ein und stellen Sie die vollumfängliche finanzielle Unterstützung des UNO-Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge UNRWA wieder her.
3. Freilassung aller israelischen Geiseln und unrechtmässig inhaftierten palästinensischen Gefangenen
Gemäss Artikel 34 der IV. Genfer Konvention ist die Geiselnahme verboten. Wir fordern Sie auf, sich für die bedingungslose Freilassung aller zivilen Geiseln einzusetzen. Ebenso fordern wir ein entschiedenes Eintreten für die Freilassung aller palästinensischen Gefangenen, die ohne Anklage, ohne faires Verfahren oder entgegen rechtsstaatlichen Grundsätzen festgehalten werden.
4. Öffentliche rechtliche Einordnung der Lage in Gaza
Gemäss Art. I der Völkermordkonvention hat die Schweiz die Pflicht zur Prävention und Bestrafung eines drohenden oder stattfindenden Völkermords. Wir fordern eine offizielle Stellungnahme des Bundesrats zur Plausibilität eines Völkermords in Gaza gemäss Definition des IGH, die sich auf die Völkermordkonvention stützt.
5. Kooperation mit und Unterstützung von internationalen Strafverfolgungsorganen
Gemäss dem Römer Statut und dem Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG) ist die Schweiz verpflichtet, mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu kooperieren. Wir fordern, dass sich die Schweiz ausdrücklich zur Unterstützung des IStGH bei der strafrechtlichen Aufarbeitung von mutmasslichen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord bekennt – unabhängig von der Täterseite – und ihre finanzielle Unterstützung für den IStGH deutlich verstärkt.
6. Suspendierung sicherheitsrelevanter Exporte
Gemäss Artikel 22 des Kriegsmaterialgesetzes dürfen Ausfuhren nicht erfolgen, wenn das Risiko besteht, dass sie zur Begehung schwerer Menschenrechtsverletzungen verwendet werden. Wir fordern, dass alle Exporte von Kriegsmaterial, Dual-Use-Gütern und Überwachungstechnologie nach Israel ausgesetzt werden, solange der Verdacht von Völkerrechtsverbrechen besteht.
7. Verurteilung von Aufrufen zur illegalen Umsiedlung oder Deportation
Öffentliche Aufrufe zur Vertreibung einer Bevölkerungsgruppe verletzen das humanitäre Völkerrecht und die UNO-Charta. Wir fordern eine klare und explizite Verurteilung völkerrechtswidriger Aussagen israelischer Regierungsmitglieder.
8. Unterstützung und Ausbau wirtschaftlicher Massnahmen zum Schutz des Völkerrechts
Die Schweiz ist gemäss dem IGH - Gutachten vom 19. Juli 2024, das die Rechtswidrigkeit der israelischen Besatzung feststellt, sowie nach ihrer nationalen Gesetzgebung verpflichtet, Massnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung des Völkerrechts sicherzustellen. Der Bundesrat soll sicherstellen, dass die Schweiz nicht durch Handel, Investitionen oder andere Wirtschaftsbeziehungen dazu beiträgt, die illegale Besatzung der Palästinensischen Gebiete aufrechtzuerhalten, wo nötig in Abstimmung mit der EU.
9. Einsatz für eine politische Lösung auf Basis des Völkerrechts
Das erklärte Ziel der Schweizer Nahostpolitik ist eine Zwei-Staaten-Lösung. Die Schweiz soll sich für eine Lösung einsetzen, die Menschenrechte achtet, die Blockade des Gazastreifens aufhebt, illegale Siedlungen beseitigt, das Rückehrrecht achtet sowie grundsätzlich gleiche Rechte für Palästinenser und Israelis gewährleistet. Besonderes Augenmerk gilt der Beseitigung israelischer Strukturen, die nach Einschätzung des IGH und weiterer UNO- Gremien gegen das völkerrechtliche Verbot von Apartheid verstossen.
10. Verpflichtung zur präventiven Völkerrechtspolitik
Gemäss Art. 1 der Genfer Konventionen muss die Schweiz alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um Völkerrechtsverstösse zu verhindern. Wir fordern eine Überprüfung der gesamten Nahostpolitik der Schweiz hinsichtlich ihrer menschenrechtlichen und völkerrechtlichen Kohärenz sowie eine öffentliche Rechenschaft über diese Politik.
Dies ist eine Stellungnahme des Forums für Menschenrechte in Israel/Palästina. Frieda ist Mitglied des Forums für Menschenrechte in Israel/Palästina, ein Zusammenschluss von 12 Organisationen in der Schweiz, die sich für einen menschenrechtsbasierten Ansatz im israelisch-palästinensischen Konflikt einsetzen.