Chams – Sonne ist Licht im Dunkeln

Das Schicksal der 22-jährigen Nouria ist kein Einzelschicksal. Unzählige Frauen in Marokko erleben die gleiche Geschichte, an deren Ausgangspunkt oft eine ungewollte Schwangerschaft steht.
Frauen und Teilnehmerinnen des Projekts von Frieda sitzen vor einem Gewässer und schauen in die Ferne.

«Seit meiner Kindheit war mein Leben bestimmt von Gewalt und Demütigungen. Liebe und Zuneigung gab es in meiner Familie keine. Ich wurde mehrfach vergewaltigt: Von Verwandten und anderen Männern. Ich wurde zwei Mal ungewollt schwanger und heute bin ich HIV-positiv. Um meine Kinder zu ernähren, blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu prostituieren.»

Das Schicksal der 22-jährigen Nouria ist kein Einzelschicksal. Unzählige Frauen in Marokko erleben die gleiche Geschichte, an deren Ausgangspunkt oft eine ungewollte Schwangerschaft steht. Es ist die Geschichte von Frauen, die ihren Körper verkaufen müssen, um zu überleben. Sie werden stigmatisiert, diskriminiert, entwürdigt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Obwohl Frauen in Marokko die gleichen Rechte haben wie Männer, finden 62 % der marokkanischen Männer immer noch, Frauen müssten häusliche Gewalt tolerieren. Vergewaltigte Frauen werden gar zum Schweigen gezwungen, zum Vergessen des Schrecklichen, um die Ehre der Familie nicht zu beschmutzen.

Im Projekt Chams – Sonne finden gewaltbetroffene Sexarbeiter*innen in Marrakesch Gehör und Wärme. Foto: Lamia Naji

Endlich Wärme und Wertschätzung finden

Im Projekt Chams – Sonne begleitet und stärkt Frieda, gemeinsam mit der Partnerorganisation Association de lutte contre le Sida ALCS, gewaltbetroffene Frauen. Sie erhalten niederschwelligen Zugang zu guter medizinischer Betreuung.

Zudem bietet das Projekt Informations- und Sensibilisierungssitzungen, Selbsthilfegruppen zur Verbesserung des Selbstwertgefühls und soziale und psychologische Beratung. Ein Solidaritätsfonds leistet Soforthilfe für besonders bedürftige Frauen, beispielsweise Lebensmittel oder warme Decken. Denn manche Frauen haben kein Zuhause, schlafen jede Nacht woanders und übernachten teilweise sogar draussen.

Nouria hat sich mit dem Wunsch nach finanzieller Unterstützung, um lebenswichtige Medikamente kaufen zu können, ans Projekt gewandt. Gefunden hat sie noch viel mehr: «Zum ersten Mal meine Geschichte erzählen zu können, war eine Form der Befreiung. An diesem geschützten Ort fühlte ich mich vom ersten Moment an sicher. Hier finde ich die Familie, die ich nie hatte. Die anderen Frauen geben mir Wärme, hören zu. Sie werten nicht, zeigen mir vielmehr, dass auch ich wertvoll bin.»

In den geschützten Räumen der Partnerorganisation ALCS können die Frauen* über ihre Erfahrungen sprechen und erhalten gesundheitliche und rechtliche Beratung und Begleitung. Fotos: Lamia Naji

Umfassendes Empowerment gewaltbetroffener Frauen

Im Projekt haben die Frauen die Möglichkeit, eine Berufsausbildung zu absolvieren. Dies eröffnet ihnen die Chance, sich wirtschaftlich nachhaltiger selbständig zu machen und sich gesellschaftlich wieder integrieren zu können. Auch rechtliche Unterstützung für gewaltbetroffene, missbrauchte oder alleinerziehende Frauen wird angeboten. Denn sehr belastend für die Alleinerziehenden ist, dass ihre Kinder oft nicht im Personenregister eingetragen sind. Wegen der fehlenden Registrierung gelten sie als «identitätslos» und werden vom Schulbesuch und weiterer Bildung ausgeschlossen. Die rechtliche Unterstützung im Projekt ermöglicht den Müttern, ihre Kinder trotz administrativen und juristischen Hürden registrieren zu lassen.

Projektleiterin Soumia ermutigt und stärkt die marginalisierten und diskriminierten Frauen. Foto: Stephanie Hofer

Auch Frauen, die erlittene Gewalt zur Anzeige bringen möchten, erleben einen Spiessrutenlauf. Man glaubt ihnen nicht oder die Frauen müssen gar Schikanen der Polizei oder der Gerichte über sich ergehen lassen, weil sie Prostituierte sind. Wie ausserehelicher Geschlechtsverkehr ist Prostitution in Marokko verboten, wird aber toleriert. Eine Sexarbeiter*in kann darum einen Freier, durch den sie Gewalt erfahren hat, kaum anzeigen. Zu gross ist die Gefahr, dass sie anstelle des Freiers bestraft wird. Solche entwürdigende Situationen machen die Sexarbeiter*innen zu einer hochverletzlichen Gruppe. Die Projektverantwortlichen stehen an der Seite der Betroffenen und unterstützen sie juristisch und administrativ.

Projektkoordinator*in Soumia ist betont: «Es ist eine grosse Freude, Teil eines Projekts zu sein, das den marginalisierten, diskriminierten Frauen eine Stimme gibt, ihnen das Recht auf Gesundheit zugesteht und mit ihnen die Hoffnung auf Gleichstellung teilt.»

Für Nouria und ihre beiden kleinen Kinder ist die Teilnahme am Projekt ein erster Schritt aus einem Tunnel ohne Licht. Oder wie sie selbst ausdrückt: «Durch das Projekt habe ich Selbstvertrauen, Hoffnung und Kraft zurückzugewonnen. Ich traue mich fast nicht, es auszusprechen, aber ich beginne zu glauben, dass ich hier meinen guten Stern gefunden habe.»

Das Projekt gibt den Frauen eine Stimme und begleitet und ermutigt sie zu Veränderungen.

Keine Anlässe

Es sind aktuell keine Anlässe geplant. Bitte schaue später wieder vorbei.
×
Scroll agenda container left
Scroll agenda container right